Artikel: Nightmare on… MVV Kundenzentrum K1, Mannheim[ Kolumne ]
15.01.2007  |   Klicks: 3555   |   Kommentare: 19   |   Autor: kurt
Nightmare on… MVV Kundenzentrum K1, Mannheim
Jeder Alleinwohner oder WGler hat sich schon mal mit den Jahresendabrechnungen unseres geliebten Energieversorgers rumschlagen müssen. So auch ich im – sich zum Glück dem Ende zuneigenden – Jahr 2006. Für meine Zwei-Zimmer-Bude, ausgestattet mit Elektrospeicherheizung (leider!!!), sowie Boilern (auch leider!!!) sollte/musste ich 900 Flocken locker machen. Wenn man aus seiner ersten Ohnmacht erwacht, weiß man: Ratenzahlung muss her!
So bleibt fast jedem/mir, außer Papas Liebling, nichts anderes übrig, als sich zum MVV Kundenzentrum zu bewegen. Hält man sich nun also des öfteren in diesem Etablissement auf, gewinnt folgendes Zitat aus den Leitsätzen des Unternehmens eine ganz neue Bedeutung:

„MVV Energie ist eine führende Energie-Gruppe in Deutschland, die ihre Stadtwerkebeteiligungen zu einem starken, deutschlandweit agierenden Netzwerk ausbaut. Durch die Nutzung "lokaler Intelligenz" und die Realisierung von Effizienzvorteilen steigern wir den Unternehmenswert der Partner im Netzwerk.“

Besonders inspirierend finde ich dabei die Bezeichnung der „Nutzung lokaler Intelligenz“. Nachdem ich heute auf ein Neues schlappe 1 œ Stunden dort zubrachte, muss ich mich doch ehrlich fragen, von welcher Art „lokaler Intelligenz“ hier die Rede sein soll, geschweige denn, wie man diese auch noch „nutzen“ könnte.
Nun ja, einige Träger lokaler Intelligenz gibt es dann doch, so konnte ich heute feststellen. Ich spreche von den netten Mitbürgern, die eigentlich VOR einem in der endlos wirkenden Schlange stehen, aber DICH die Arbeit machen lassen. Nämlich das Warten. Sie hingegen winken dich ab und setzen sich anschließend auf einen der netten Sessel. Kurz bevor man dann das Ende der Wartenden erblickt und das Ziel so nah scheint, schießen sie aus ihren Sitzen hoch, direkt vor deine Nase. Kein Dankeschön, nichts. Das nenne ich persönlich Bauernschläue. Warum sollte eigentlich ausgerechnet ich stehen? Warum setzt sich denn nicht gleich jeder hin? Diese und noch mehr Fragen kreisen durch meinen Kopf und plötzlich lerne ich das Nummernverfahren, wie man es aus dem Ordnungsamt kennt, sehr zu schätzen.

Doch jäh werden meine Gedanken in kleine Fetzen zerrissen. Ein Mann, auf den ersten Blick als Angehöriger des anderen Ufers zu outen (die „Assi-Ausgabe“) und eine zahnlose Bekannte betreten das Kundenzentrum. Nicht nur mit seinem Prachtoutfit (gelbe Cowboystiefel und hellblaue Schlaghosen, sowie Minipli) zieht er alle Blicke auf sich. Nein, auch mit typisch Mannheimer Parolenschwingerei macht er gekonnt auf sich aufmerksam. „Hea, wo is’n der jetzat hie? Sisch äna runnerholä! Isch wäs’s ganz genau! Un die anner do, die rennt die ganzi zoit nur do rum. Vier Schalta, viere! Un trotzdem sin die so lahmarschig, hea!“. Er scheint eine Schulung zum Fußballspielkommentator absolviert zu haben, so hört er nicht auf, das Geschehen zwischen den vier Toren/Schaltern mit geistreichen Einlagen zu dokumentieren.

Ich flüchte mich dank MP3 Players in eine andere Welt, ohne Gepöbel. Ich schwinge sanft zu Katie Meluas „One Million Bicycles“. Während ich mir also so langsam einen Wolf stehe, bemerke ich plötzlich, dass ich doch nicht in Beijing bin. Der feuchte, übelriechende Atem meines Hintermannes streichelt zärtlich meinen Nacken. Und wenn’s nicht riecht, dann hört man’s – ein lautes Schmatzen. Ich fühle mich wie im Speisesaal eines 0 Sterne Hotels. Fremde Länder, fremde Gerüche, fremde Sitten.

Inzwischen ist es unmöglich, mich wieder zurück in meine Traumwelt zu ziehen, da ich nun auch noch von musikdröhnenden Handies umgeben bin. Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren - die Sachbearbeiter.

Schon eine Stunde zuvor habe ich einen älteren Herren stolz an einem der Schalter sitzen sehen. Ich fange an mich zu wundern, mit welchen Problemen manche Mitbürger hier eintrudeln, die einer stundenlangen Betreuung bedürfen, als plötzlich Hektik ausbricht. Ich vernehme das Wort „Notarzt“, der Mann hält sich die Brust und rollt vom Schalterstuhl auf einen der anderen Sessel. Ich kann es nicht fassen. Er hat einen vorgetäuschten Herzinfarkt, gelbe Karte. Auch das wird von meinem Rheinauer Freund in Cowboyboots nicht unkommentiert gelassen. „Endlisch wird ämol was froi!“ Nach einer kurzen Atempause im Kundenzentrum der MVV Energie AG nimmt alles wieder seinen normalen Lauf. Ich bin fast am Ziel, als sich die diversen Sesselfurzer aus ihren Sitzen erheben und ihren Platz vor mir einnehmen. Gern geschehen, dankschää, denke ich.

Ich habe auch diese letzte Hürde genommen, spreche mit der Sachbearbeiterin, die mir erklärt, dass sie meine Daten im PC nicht finden kann.

Die einen mögen sagen, der Besuch wäre umsonst gewesen. Ich hingegen denke, dass es die 1 œ Stunden vermeintlicher Zeitverschwendung wert war. Ich dachte, der Tag würde langweilig werden und nun wurde ich so super unterhalten. Besser als Kino, weil authentisch, das nackte Leben. Mein Mannheim!

Herzlichst, euer Kurt
 
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19 Kommentare zu diesem Artikel
15.01.07, 19:28 Uhr #1 von Sonnenschutz
Nicht dein Mannheim - unser Mannheim !

Noch schlimmer ist aber das Nervensägen-Massaker im T-Punkt am Paradeplatz. Zum Glück gibt es mittlerweile genug angere Anbieter, dass man weder zwingend bei der MVV, noch bei der Telekom verweilen muss.
16.01.07, 09:59 Uhr #2 von kurt
ich moechte hiermit darauf hinweisen, dass sich da ungewollt der fehelerteufel bei meiner (tollen) kolumne eingeschlichen hatte...meine korrektur kam leider zu spaet bei der redaktion an. also, ich weiss, dass es 9 millionen fahrraeder in beijing gibt und nicht nur eine, naja, katie melua scheint es zumindest zu wissen also, sorry leute
16.01.07, 13:37 Uhr #3 von Kaetzchen
Es ist zum heulen ich weis.
Muss sagen Deine Kolumne ist der reine wahnsinn, du solltest daraus einen Beruf machen,falls es nicht schon so ist. Sehr unterhaltsam, witzig mit charme und intelligenz. Und alles so wunderbar auf den Punkt gebracht.
16.01.07, 23:28 Uhr #4 von Olle
ey kurtchen, sie haben da was tolles geschrieben endlich mal wieder ne lesbare gescheite kolumne
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt 16.01.07, 23:28 Uhr
16.01.07, 23:32 Uhr #5 von SexyBoy15
aber hallo
17.01.07, 13:48 Uhr #6 von lorelei
Kurt for president!!!!
17.01.07, 14:51 Uhr #7 von Sophisticated83
@olle: kannste die anderen net lesen? da würde ich aber ins zweifeln kommen
17.01.07, 23:54 Uhr #8 von Olle
ich bin des lesens durchaus mächtig, danke der nachfrage
allerdings bevorzuge ich normalerweise etwas durchdachtere kolumnen mit etwas mehr wortwitz, dafür nehme ich gerne weniger "veröffentlichungen" in kauf
kroko
17.01.07, 23:59 Uhr #9 von Sophisticated83
@olle: ich finde durchaus, dass die bisher veröffentlichten kolumnen durchdacht sind und wortwitz beinhalten unserer leser, aber persönliche präferenzen sind nun mal unterschiedlich...
18.01.07, 00:06 Uhr #10 von Olle
und genau deswegen werde ich hier doch sicherlich auch meinen respekt ausdrücken dürfen, oder nicht...
18.01.07, 14:56 Uhr #11 von Julie
GÖTTLICH! Da muss ich doch auch gleich meinen Dank aussprechen - schon lang nicht mehr hat mich eine Kolumne so gut unterhalten!
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt 18.01.07, 14:56 Uhr
18.01.07, 15:46 Uhr #12 von CavemanZZ
ein hübscher text.
hab sowas ähnliches auch mal im T-Punkt am Paradeplatz erlebt und 1 1/2 Stunden sind leider keine Seltenheit.
18.01.07, 20:57 Uhr #13 von BerndStromberg
hehe, sauba! normalerweise hör ich bei den kolumnen hier nach zwei sätzen auf zu lesen, aber das hier ist echt gut! grüße aus der "nachbarschaft" des kundenzentrums
19.01.07, 22:54 Uhr #14 von Sanne
kurt, jetzt will ich nicht mehr nur ein BILD von dir!!!
und ich muss olle sowas von recht geben!!
@sophisticated: ja, persönliche präferenzen sind SEHR unterschiedlich!
und ICH finde: manche können's und manche eben nicht...
und kurt kann's
20.01.07, 20:29 Uhr #15 von kurt
ihr seid ja alle sooo liiiep
21.01.07, 13:06 Uhr #16 von karlmoik
dieser erfahrungsbericht zeigt mir immer wieder, wieso ich doch lieber die hotline anrufe und innerhalb von nicht mal 5 minuten am ziel bin und meine restliche zeit sinnvoller nutzen kann..

zum thema "wortwitz" fällt mir nur ein: welchen meinst du denn genau in diesem erfahrungsbericht?! den titel kolumne trägt der text hier oben fälscherlicher weise.. das heisst aber nicht: das der text schlecht geschrieben wurde.. im gegenteil.. schön kurzweilig.. aber eben keine kolumen.. meine meinung
21.01.07, 23:03 Uhr #17 von BenKling3
Nette Story, nur wo bleibt die Aussage???
Ist das nicht der Sinn einer Kolumne???

Ach und beim nächsten mal, etwas mehr Toleranz gegen die Dich umgebende Bevölkerung!!!
21.01.07, 23:33 Uhr #18 von Sophisticated83
Unsere Redaktion hat den Beitrag von Kurt als Kolumne gewertet und deshalb veröffentlicht. Sollten Unstimmigkeiten über den Begriff der Kolumne an sich bestehen, könnt Ihr Euch gerne an uns wenden und wir diskutieren das gemeinsam aus. Fakt ist nämlich, dass nicht genau umrissen ist, welche Kriterien eben eine Kolumne erfüllen muss, im Vergleich zu anderen Textsorten ist dies recht freigestellt.
Wir arbeiten intern bereits an einem Anforderungskatalog für Kolumnen, die hier erscheinen werden...
21.01.07, 23:36 Uhr #19 von SexyBoy15
wassn des eigentlich für 'ne aufregung hier?
freut euch doch einfach, dass es mal wieder was amüsantes zu lesen gibt wie schon bei kolumnen (ob sie den namen jetzt eurer meinung nach verdient haben oder nicht) zuvor.
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