Artikel: Der Schneckenhof von A bis Z[ Kolumne ]
29.12.2003  |   Klicks: 5242   |   Kommentare: 12   |   Autor: kroko
Der Schneckenhof von A bis Z
Was bitte sehr ist so besonders an universitären Schneckenhoffeten? Anekdoten von Anwandlungen männlicher Treue, Auswirkungen weiblicher Untreue, BWL-kritischen Protestsongs, den Weg zum Superstar, Dieter Bohlens bengalischem Tiger, und was für gewöhnlich sonst noch so auf Schneckenhoffeten passiert. Inklusive kulinarischem Geheimtipp "Mit Senf lecker zaubern".
Nenn mich Ingo L., sagte Ingo L.
Eigentlich hatte ich ihn ja nur nach einer Karte gefragt. Ich erkenne die Marke Kartenschwarzhändler auf hundert Meter.
Den Vorverkauf in der Mensa wollte ich mir ersparen: Ellenbogenlängere Schlangen als vor der Essensausgabe - Gewimmel, Gedrücke, Geschiebe - erst kommt die Fete und dann die Moral.
Aber kein Vorverkauf kann so stressig sein, wie das ungewisse Warten vorm Schneckenhof, ob man überhaupt noch eine Karte kriegt oder nicht, nervig ist; und die Schwarzmarkthändler grausam, gerissen und gierig sind.

„Hast du jetzt ne Karte?“, bettle ich.
„Keine Karte. Aber den besten Ratschlag, den ich dir geben kann: Geh nicht hin!“
„Warum? Soll ein Orkan aufziehen, der den Schneckenhof verwüstet? Oder das gähnende Gegenteil? Ist Informatiker- oder VWL-Fete?“
„Schlaumeier. Vor deinem Verderben will ich dich bewahren. Ich bin die Mutter, die dich davon abhält auf die Herdplatte zu langen. Ich bin die rote Ampel an einer stark befahrenen Kreuzung deines Lebens.“
„Na Wahnsinn! Welcher Religionsrichtung bist du denn verfallen? Anonyme Schneckenhofsüchtige?“
„Ich werde dich an meiner Lebenserfahrung teilhaftig werden lassen und dir eine lehrreiche Säufergeschichte erzählen.“
Ich sehe mich nach weiteren vermeintlichen Kartenverkäufern um, aber Ingo L. bleibt am Ball: „Alle auf der Welt kolportierten Säufergeschichten sind sich ähnlich in ihrer primitiven Verklärung sinnlosen Rausches, dümmlicher Sexismen und idiotischer Verhaltensweisen.
Meine Geschichte aber, meine Geschichte eines Donnerstagabends im Schneckenhof, unterbietet mühelos jede erdenkliche Niveaulosigkeit und hat außerdem einen homoerotischen Einschlag.“
„Ach daher weht das Windchen. Bedauerlich für dich und deinen kleinen Freund. Ich bin nämlich seit mindestens zehn Jahren in meiner Auf-Frauen-Steh-Phase in ihrer reinsten Form, und die nächsten fünf Jahre wird sich daran auch nichts ändern. Komm dann noch mal vorbei.“
Ingo L. schüttelt unwillig den Kopf. „Nichts zu befürchten. Ich fahre auch nur auf Frauen ab. Im Grunde genommen nur noch auf eine einzige. Seit ich Simone traf. Die 15-Punkte-von-10-möglichen-, der aus all meinen Sehnsüchten geborenem Wunderland entsprungenen Traumfrau. Vier Jahre waren wir zusammen. Vier Jahre im Siebten Himmel. Wir harmonisierten einfach unfassbar perfekt zusammen. Bis auf diese kleine, kleine, klitzekleine Kleinigkeit.“
„Die wäre?“

„Meine Freundin hielt nicht viel von Schneckenhoffeten. Was macht Schneckenhoffeten eigentlich so besonders, fragte sie abschätzig, und warum musst du da jeden Donnerstag hinrennen, anstatt bei mir zu bleiben? Die Antwort – mir selber verborgen, mirakulös.
Jedoch, es kam, was kommen musste: Donnerstag. Und ihre ultimative Forderung: ‚Ich wünsche nicht, dass du heute Abend auf die Schneckenhoffete gehst.’
Simone, ambrosisch, engelsgleich; wenn sie sich was wünscht, bin ich ihr Sams, mit dicken blauen Punkten im Gesicht, bereit, ihr jeden Stern vom Himmel zu holen.

Ich hatte es mir zumindest fest vorgenommen. Doch ausgerechnet an diesem Abend dauerte es am Lehrstuhl noch ein bisschen länger, und auf dem Nachhauseweg brachte es mein Unter-Ich nicht über sich, eine andere Richtung einzuschlagen, als am Schneckenhof vorbei.
Doch mein Über-Ich war immerhin vorausschauend gewesen. Ich hatte keine Eintrittskarte dabei, vorsorglich kein Geld mitgenommen, wollte mich nicht in Versuchung bringen.
Nur kurz ein letztes Mal vorüberschlendern.
Ein letzter Blick auf die Einfahrt in den Schneckenhof.
Ein letztes Inhalieren der Impressionen im Vorhof des Vergnügens. Die Baugitterzäune, sich schlängelndes, bunt gefärbtes Mischmasch der Wartenden.
Nur noch ein Mal. Simone, ich schaue nur, verspreche ich ihr innerlich.

Hey, da steht ja der C. am Eingang. Ein belangloses Schwätzchen um der alten Zeiten willen ist doch nicht verboten. C. ist einer der Organisatoren der Fete, ich brauche keine Karte um reinzukommen. Sei still, Über-Ich, werde nicht lange bleiben.
Am Eingang lauert HTom, der Fotograf von schneckenhof.de, und ich gerate in ein kleines Gruppenfoto mit fremden Damen.

Gut ist: Habe keine Knete, kann also auch nichts trinken.
Besser ist: Beim Getränkestand kenne ich die Hälfte der Leutchen die ausschenken. Der F. spendiert mir ein Bier. Ein braves Bierchen ist gar nichts.
Über-Ich und Simone, keine Angst, danach geh ich dann auch.

Oh nein, Schnorrer Z. Will nur über mich umsonst einen heben. Von mir aus, lass ihm auch einen ausgeben, nehme bei der Gelegenheit ein weiteres Glas mit.
Schnell geflüchtet, Richtung Tanzfläche vorbeigeschaut.
Da tanzen D. und seine bildhübsche Freundin, die kleine, süße E. Leider kommt wieder Z. vorbei und meint, er müsse E. anbaggern.
Zeit für eine Runde Schneckenhof.

Auf dem nächsten Bierwagen schenken Prof. W. und Assistentin U. aus. U. macht mir Zeichen mal rüberzukommen und beugt sich einladend über die Bierwagenreling. Ich denke an solch biedere Sachen wie ein kleines Begrüßungsküsschen und lege den Kopf verträumt nach hinten. Da hat sie mir schon der Hals einer Flasche in den meinigen gesteckt, und ich spüre den scharfen Wodka meine Kehle hinab, und größtenteils über das Gesicht schwappen.
HTom hält es für die Nachwelt fest. Langsam wird mir warm.

Spaziere mit U. und Prof. W. zurück zur Tanzfläche. Rechter Seite tanzen E. und Z. unangemessen nah, irgendwo links steht D. und weiß noch nichts von seinem Unglück. In den Handlungsverlauf zukünftiger Ereignisse eingreifend, nötige ich den restlichen Wodka dem Z. auf.

Prof. W. tanzt wild auf der Bühne und malt mit den Armen imaginäre Formeln an unsichtbare Tafeln, die U. neben ihm.
Ich schwinge mich auch rauf und tippe U. freundlich auf die Schulter. Sie dreht sich um, aber da ist keine U. mehr, da ist nur noch Alkohol. Dumpf blickt sie durch mich hindurch.
Und auch mir entgleitet die Realität, die Lichter drehen sich karussellartig, die Menge unter uns tanzt, Z. lässt die leere Wodkaflasche fallen, E. fällt ihm um den Hals, D. fällt in Verzweifelung, Prof. W von der Bühne, die studentische Masse fängt ihn - Z. fängt an zu fummeln, D. eifersüchtig zu schluchzen, U. ihr Mensaessen weit von sich zu katapultieren, und ich: zu vergessen.
Ab diesem Zeitpunkt weiß ich nichts mehr mit Sicherheit zu berichten, da ich die nächsten zwei Stunden nur noch aus Erzählungen Dritter kenne.
Noch heute begegne ich manchmal Augenzeugen, die ich gar nicht kenne und die spontan sagen: Wow, bist du nicht der, der damals auf dieser einen Schneckenhoffete auf der Bühne zusammen mit Prof. W. das Anti-BWLer-Lied performt hat?
Ich habe mir das wie folgt nachkonstruiert: Zuerst hatten wir wohl den DJ von seinem Mischpult weggezerrt, selber was aufgelegt, Prof. W. und U. haben gestrippt und dann haben wir auf ‚Don’t Worry Be Happy’ spontan und abwechselnd neue Strophen mit BWLer-kritischem Einschlag gedichtet.

wissenschaft macht mich nicht an // studieren weiss nicht was, kein plan // wer nichts wird, wird b-wirt // will kohle und karriere satt // jacht und auto, das nicht jeder hat // und ein guter bwler // studiert mit papas geld viel schneller // wer nichts wird, wird b-wirt // look at me I'm ...

Bis uns eine Horde wutentbrannter BWL-Studenten die Mikrofone entriss. Vor einem erbärmlichen Exitus als grausam Gelynchte bewahrte uns nur der bezeichnende Umstand, dass hastig aneinandergeknotete Krawatten in der Praxis nicht zum Erhängen taugen.
Wenn HTom nicht von all dem Fotos geschossen hätte, würde ich es selbst nicht glauben.

Mein vom Unter-Ich ausgeknocktes Über-Ich beginnt wieder die Oberhand zu gewinnen, und ist entsetzt. Ich denke an Simone, die sicher schon schläft. Sie kennt mich und kann sich denken, wo ich bin. Versprochen ist gebrochen.

Während ich noch die Reste einer durchrissenen Krawatte zu entfernen versuche, kommt eine Frau mit spirituös bedingter Schlagseite auf mich zu.
Schneller als ich mir einen netten Gesprächsanfang überlegen kann, ist sie mir schon nah genug auf die Pelle gerückt und ihre Zunge in meinem Mund.
Ich bin verwirrt. Sollte man nicht erst mal reden? Aber sie erstickt jeden Ansatz einer verbalen Kommunikation mit Zunge und Lippen.
Durch sanftes Wegdrücken entgehe ich dem Erstickungstod und fülle meine Lungen tief mit einem Gemisch aus Sauerstoff und einem beträchtlich hohen Anteil Fett (?).
Mein Nasentrikoder liefert die Erklärung für diese ungewöhnlichen Atmosphärenwerte: Wir stehen neben Planet Grill, dem Zelt von Bratwurst-G.
Ich besorge meiner heißen Kussflamme ein Steak, und sie schmiert es dermaßen mit Senf zu, dass ihr das gelbe Zeug beim Essen in ihr weitläufiges Dekoltee gerät.
Da muss man was tun.
Wir sehen uns an - ich bin Kavalier und entferne den Senf auf die naheliegendste, natürliche Art und Weise aus ihrem Ausschnitt. Eigentlich finde ich Ketchup leckerer, aber damit rückt Senf in meinen Lieblingsspeisencharts ganz nach oben. – Klick - HTom spaziert schaukelnd weiter.

Das letzte Lied ist noch nicht gespielt, da nervt so ein Athlet von der Security (J., glaube ich), ich solle gehen. Himmel, ich kenne doch den Chef der Security, den K. Der J. lässt mich also in Ruhe.
Hrmpf, der Senffrau nur mal kurz den Rücken zugekehrt. Da bin ich doch enttäuscht, dass sie sich kaum eine Minute später schon dem nächsten x-Beliebigen an Brust und Zunge wirft.
Wie ungerufen meldet sich Securityaufsicht Y. , es wäre Zeit den Schneckenhof zu verlassen. Nicht schon wieder - erkläre ihm, dass ich den K. gut kenne. Geritzt.


Die niedliche E. redet auf Z. ein, der total hinüber bei den Fahrradständern in der Ecke liegt.
Der Z. hat zwar die Augen auf, reagiert aber kaum. Sichtlich ungehalten lässt E. ihn in seiner Ecke liegen und raunt mir zu: „der Typ ist dermaßen besoffen, der kann sich nicht mal mehr bewegen.“
Dann drückt sie eine Träne aus und entschwindet dem Schneckenhoftorbogen.

Diesmal will uns der X. von der Security hinauskomplimentieren, aber bei Z. ist nix zu machen, und ich – ich kenne ja den K.

Der D. kommt vorbei und erfasst augenblicklich den Spaßfaktor der gegebenen Situation. Er stellt sich vor die Fahrradständer und macht Anstalten sich zu erleichtern. Greif ein, appelliert mein Über-Ich, hol den Z. aus der Schussbahn.
Konzentriert visiert D. sein Ziel an. Mit seinen weitaufgerissenen Augen erinnert mich Z. an ein Moorhuhn, unweigerlich seiner Bestimmung ausgeliefert, den Score um fünf Zähler zu erhöhen.
Zu spät, zu spät, jubiliert das ehrlose Unter-Ich.
Als Entschuldigung kann ich nur anführen, dass ab einem gewissen Promillestand der Inhalt der menschlichen Blase nur noch mit einer glasklaren Flüssigkeit aus Wasser und Restalk gefüllt ist. Sicher gibt es in einer lauen Sommernacht angenehmere Erfrischungen.

Schon wieder irgendein Security-Typ. Erkläre zum x-ten Male am Abend, dass ich seinen Chef, den K. kenne. Überraschung! „Ich bin der K.“, sagt er, und die Fete ist tatsächlich für mich zu Ende.

Jetzt zurück zu Simone? Süße Simone, geliebte Simone. Schon schlafende Simone, ungern geweckt werden wollende Simone. Wütend werdend könnende Simone.
Ich verdränge meine Probleme auf aktive Weise. D. und ich machen uns auf den Weg ins T.
Unterwegs, genauer gesagt nach wenigen Schritten, treffen wir die Senffrau mit ihren Freundinen O1 und O2.
Die haben keine Lust zu Fuß zum T. zu laufen, aber eine einfache Lösung. Sie stellen sich einfach mitten auf die Bismarckstrasse und bringen auf diese Weise das erstbeste Auto, mit zwei Jungspunden vorne drin, zum Stehen. Türen auf, die drei Mädels steigen ein, das Auto ist voll, D. und ich passen aber auch noch rein - Quetsch – Knipps-Blitz – Platz für HTom machen! Wir erklären den Spunden den Weg zum T., und hast du’s nicht gesehen sind wir auch schon drunten.

Ungefähr gegen fünf Uhr beginnt sich die Tanzfläche etwas zu leeren.
Ich stürme an die Bar. Der blöde Trick kein Geld mitzunehmen lässt meine Kehle allerdings weiterhin trocken.
Moment! Hab wohl schon gehört, das T. würde von Prominenten aufgesucht, Steffi G. oder Andi M. Aber kann das sein? Der Polterer mit dem breiten Lachen neben mir.
Noch mal genau hingesehen. Doch, doch. Dieter B.! Es ist Superstar-Müllermilch-NichtsAlsDieWahrheit-Dieter .
Er lacht und feixt mit jedem, gibt mir schließlich einen aus, und nach einer Weile spüre ich seine Patschehändchen an meinen Hüften, und sein rauher Bart hinterlässt ein Brennen auf meiner Wange, während er mir ins Ohr flüstert „Ich mach Dich zum neuen Kübelböck, Ingo“.
Hatte heute unlängst verschiedene Objekte in meinem Hals, darum weiche ich etwas unwirsch aus, als er versucht mir sein Geschmacksorgan aufzudrängen.
Er ist auch gar nicht böse.
Der Gedanke an die Zunge von Onkel Dieter, die sich schon in den weichen Körpereinebnungen von Verona und Naddel schlängelte, erregt mich dann doch etwas.

Es ist nicht weit rüber zum M-Hotel am Wasserturm, wo Dieter eine der oberen Etagen bewohnt.
Ich stehe wie gesagt definitiv nur auf Frauen, aber dies könnte der Beginn eines neuen Lebens sein, versuche ich mich selber zu überreden.
Egal, Dieter ist immerhin ein sehr faszinierender ... arrrggg ... er trägt rosa Boxershorts.
Genauer betrachtet erscheint mir urplötzlich auch mein altes Leben sehr, sehr ertragenswert.
Dieter wirft mir sein Handy zu. „Pizzahzörfiß, Rezeption, Heidelberger Zoo, Tierarzt, Zirkus, ...“
Dieter gibt mir alle Anweisungen, die für einen gelungenen romantischen Abend nach seinen Vorstellungen maßgeblich sind.
Als die ersten bestellten Gigs eintrudeln, wirft mir Dieter sein rosa Lendchen über, verschränkt die Hände hinter dem Kopf und beginnt E-Gitarre zu spielen.
Der Hotelmanager wendet sich an mich „Wo sollen wir die Schneekanone aufstellen?“

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Mit Beschluss vom 02.12.2003 wurde uns vom OLG Delmenhorst per einstweiliger Verfügung die Veröffentlichung der weiteren Ereignisse untersagt.
(In der Begründung lässt es sich Richter R. nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass durch die Darstellungen in diesem Abschnitt sein Glaube, „mit Sodomie und Kannibalismus wären die verabscheuungswürdigsten Gipfel menschlicher Abgründe erreicht, in schmerzhafter Weise ad absurdum geführt wurde“.
Gegen diese Aussonderungen, so der bislang als „generöser Richter“ (BILD) titulierte Jurist, seien die Darstellungen eines Marquis de Sade – der dafür sein halbes Leben im Gefängnis habe verbringen müssen – nachgerade harmlos.)

Sparen wir uns also die verbotenen Details, damit der Leser an seiner unsterblichen Seele keinen Schaden nehme, und kommen sofort zum darauffolgenden Morgen ... besser Mittag ... Nachmittag ...
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Nachmittag ... später Nachmittag ... Kopfschmerzen. Kopfschmerzen wären schön gewesen, aber mir taten vor allem Körperteile weh, mit deren Existenz ich mich in meinem bisherigen Leben nicht auseinandersetzen musste.
Dieter saß nackend auf dem Bett, telefonierte mit Estefania und sah erholt aus wie ein frisch gepudertes Baby.
Als wäre nichts gewesen.
Dass etwas gewesen war, dokumentierte das Hotelzimmer. Es lag in Kleinstteile zerlegt in Trümmern. Glassplitter, Flaschen, undefinierbare Plastiktübchen und Ratzefummel aller Formen, gebraucht, ungebraucht, von Haribo, weißes Pulver bedeckten den Boden, vereinzelt Hunderter und Tausend Euro-Scheine (hehe).
Mit dem Kopf auf den Tasten hing schnarchend der Klavierspieler aus der M-Bar, den Dieter bis zum Schluss endlos nur Modern Talking spielen ließ.
Sein Smoking hing auf dem, nur noch an einem Stromkabel pendelnden, gefährlich schief hängendem Kronleuchter, an dem ein, immerhin noch mit weißen Tennissocken an den Füßen bekleideter, und mit eben diesen kopfüber am Leuchter baumelnd, auffällig nur von seiner Gesamtstatur – im Gegensatz zu einzelnen Extremitäten - kleinwüchsiger Artist, mit immer heiser werdender schriller Stimme „Oskar will mehr Brausepulver“ schon seit Stunden monoton repetierte.

Getrieben von einem wachsendem Unbehagen sah ich ins Bad, wo sich in der Wanne Eisbär und bengalischer Tiger aus dem Heidelberger Zoo zu rühren begannen.
Mir war nicht klar, wann die gegen sieben Uhr morgens vom Tierarzt verabreichten Sedativa die Großkatze noch ruhig halten würden.
Ich raffte die erst besten Kleidungsstücke, die ich zu greifen bekam, an mich, und verließ in solcher Panik das Zimmer, dass auch eine Kanonenkugel an meinem Bein meine Geschwindigkeit nur knapp unter Lichtgeschwindigkeit hätte drosseln können.
Lediglich der Schall Dieters Stimme klang mir nach „Ich ruf Dich an, ich mach Dich zum Superstar.“
Natürlich habe ich nie wieder etwas von ihm gehört.


Es gelang mir, mich leise in die Wohnung zu schleichen, wo ich Simone vor dem Rechner sitzen sah. Vor all den Bildern in der Galerie auf schneckenhof.de, die HTom gestern Nacht geschossen hatte. Bei anderer Gelegenheit hätte mir die Fülle solch qualitativ hochwertiger Fotos mit meinem Konterfei im Mittelpunkt große Freude bereitet.
Simone blieb bemerkenswert cool.
„Die Kratzer quer über deinem Gesicht sind wohl erst nach den Fotos entstanden?“
Meine stammelnden Erklärungsversuche enthielten auf der Glaubwürdigkeitsskala ganz unten stehende Wortfetzen wie „bengalischer Tiger“, „Eisbär“ und „Dieter Bohlen“.
Der als zielgenaues Wurfgeschoss ungeeignete, missbrauchte Laptop verfehlte mich, landete neben Simones gepackten Koffern und hauchte sein mikrotechnisches Leben aus.

Wie gesagt, meine E x -Freundin hielt nicht viel von Schneckenhoffeten.“


„Wow“, sage ich zu Ingo L., „eine Geschichte mit an russische Romane geziemender, dostojewskischer Telefonbuchbesetzung, stereotypen Wiederholungselementen und putzigen Effektheischern, die sich in den Geschmacksirrungen der groschenheftartig zerfurchten, inhaltsleeren Erzähllandschaft verlaufen haben. Das muss wirklich eine absolut irre und epochale Schneckenhofparty gewesen sein.“
„Schneckenhoffeten sind immer exzessiv.“
„Und ich habe keine Karte. Und um die Zeit ist es unmöglich noch an welche ranzukommen“, jammere ich.
Ingo zieht was Buntes aus der Jackentasche, zwinkert mir zu. „Don’t worry, be happy. Ich hab doch noch eine übrig.“
„Freund! Geschichtenerzähler! Meine letzte Chance. Was bin ich Dir schuldig?“
„50 Euro ist nur angemessen, oder?“

Kein Vorverkauf kann so stressig sein, wie die Schwarzmarkthändler gerissen, grausam und gierig sind.
 
Bewertung [1-5]: 4.3 Punkte [23 Stimmen]  
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12 Kommentare zu diesem Artikel
30.12.03, 01:24 Uhr #1 von HavanaTom
lang aber lustig
30.12.03, 10:24 Uhr #2 von JaneDoe
Tom, Dir ist schon klar, dass DU hier die Beziehung zum Scheitern gebracht hast, oder?
Kroko: Sehr gut geschrieben, und sooo viel Wahres dran!
30.12.03, 13:02 Uhr #3 von HavanaTom
oh nein... das tut mir leid
01.01.04, 16:08 Uhr #4 von Voodoomax
Also, das ist am Neujahrsmorgen genau die richtige Lektüre.
Komisch nur, dass mir darin so viel vertraut vorkommt...
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt 01.01.04, 16:08 Uhr
02.01.04, 00:26 Uhr #5 von rookie
Sehr flashig
03.01.04, 21:52 Uhr #6 von Volki
Hinter den Kulissen des Schneckenhofs
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt 03.01.04, 21:52 Uhr
06.01.04, 01:32 Uhr #7 von Flip
Respekt vor so viel schonungsloser Offenheit
07.01.04, 01:10 Uhr #8 von drunken_bob
geile getextet RESPECT!
08.01.04, 03:11 Uhr #9 von ABSOLUT_SUAVE
hehehe touché!
09.01.04, 11:05 Uhr #10 von tobi
Ich will mehr! -KLICK-
09.01.04, 11:10 Uhr #11 von JaneDoe
ich will auch meeeeehr!!!
09.01.04, 23:10 Uhr #12 von chango
lustig lustig trallalla <mehr>
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