Artikel: Schneckenhof: Die Million Euro[ Kolumne ]
30.07.2004  |   Klicks: 3792   |   Kommentare: 3   |   Autor: kroko
Schneckenhof: Die Million Euro
Du hast die letzte Runde der philosophischen Fragestellungen erreicht. Die [emphase]Gute Fee[/emphase] lässt Dich aus vier Wünschen wählen. A) Eine Million Euro B) ... C) ... D) ... Du kennst weder die Frage, noch die letzten drei Antworten und hast schon längst alle Joker verspielt. Was wünscht Du Dir? - Oder doch lieber aufhören?
Studenten, die auf Unifeten gehen, haben allen Grund zu feiern und machen wilde Sachen. Studentinnen auch.
Sie träumen vielleicht davon, am nächsten Morgen miteinander aufzuwachen.
Ohne Kater, ohne Reihern, mit Kribbelfeeling im Bauch.

Neben der Million Euro aufzuwachen, ist vielleicht ihr größter Traum.
Und Gesundheit, um das Glück dann zu genießen - ohne lohnt auch die Million sich kaum.

Studenten, die auf Unifeten gehen, sagen Dir, was High Net Worth Individuals sind. Darüber wissen sie Bescheid.
Und wären es gern selber.

High Net Worth Individuals (HNWI) sind der Club der Millionäre, ein Promille aller Individuen weltweit.

Studenten, die auf Unifeten gehen, werden eines Tages zu den reichsten fünf Prozent der Weltbevölkerung gehören, und würden doch gern aufsteigen ins höchste Promille.

Studenten, die auf Unifeten vorm Imbissstand stehen, lassen sich nicht stören,
denken nicht an den täglichen Kalorienbedarf der Menschen, die ihn nicht decken können.

Studenten, die auf Unifeten gehen, haben drei oder vier Euro für die Eintrittskarte gezahlt (wer niemanden aus der Fachschaft kennt). Das will man sich schon gönnen.
Fünfzehn Prozent der restlichen Welt verdienen nur einen Dollar pro Tag.
Bei weniger als zwei Dollar pro Tag sind es schon ganze vierzig Prozent.

Das Unglück ist weit weg.

Tausend Kilometer von hier, in Bulgarien, verdient ein Lehrer 100 Dollar pro Monat.
Studenten, die auf Unifeten diskutieren, wischen das mit einer Handbewegung
weit von sich, das Leben in Bulgarien ist ja traumhaft billig. Auch davon kann man leben.
Sicher kann man davon leben.
(Studenten und Feten gibt es auch in Bulgarien. Wir reden hier von uns.)

Akademiker, die im Berufsleben stehen, und das Zehnfache verdienen, jammern gern und hadern oft mit ihrem Schicksal.
Akademiker, die im Berufsleben stehen, kommen sich unterbezahlt vor, immerhin
haben sie studiert.

Wächter, die in Nordkorea Wache schieben, können sich ein Unistudium verdienen, wenn sie die Flucht eines Gefangenen verhindern.
Akademiker und Studenten glauben lieber nicht an solche Gräuelmärchen, in Mangel an Phantasie.
Wächter, die in Nordkorea Wache schieben, halten sich ausgehungerte Hunde, in Mangel an Munition.
Von fünfzehnjährigen politischen Verbrechern, die von den Hunden zerfleischt
werden, bleiben nur die Knochen übrig.

Reden wir wieder von uns.
Menschen, die die Arme vor der Brust verschränken, gehen Einzelschicksale nicht viel an.
Menschen, die die Arme vor der Brust verschränken, lassen sich von Zahlen leiten.
Aber das Unglück in der großen Summe lässt sie kalt.
Sie wärmen sich an ihrem Kontostand. Der ist wirklich interessant.

Menschen mit verschränkten Armen sagen: Wir haben es uns auch verdient.
Über Verdienst kann man bekanntlich gar nicht streiten.

Studenten, die auf Unifeten gehen, haben allen Grund zu feiern.
Sie sollten sich nur ab und zu selber den Gefallen tun und zufrieden sein.
Das ist mehr als nur erlaubt.

Zufrieden heißt nicht glücklich sein.

Studenten und Studentinnen, die nicht neben einer Million Euro aufwachen und trotzdem zufrieden sind,
sind eventuell, vielleicht, mag sein, sogar glücklich.
 
Bewertung [1-5]: 3.8 Punkte [36 Stimmen]  
Nur registrierte und eingeloggte User können Artikel bewerten.

3 Kommentare zu diesem Artikel
31.07.04, 01:04 Uhr #1 von Hoola
Also ich hab bis jetzt an jede Unifete meine Zufriedenheit finden können
Aber um ernst zu bleiben : gut dass jemand, der gut schreiben kann, auch über solche sachen schreibt. weiter so!
Dieser Eintrag wurde 1 mal editiert, zuletzt 31.07.04, 01:04 Uhr
31.07.04, 17:14 Uhr #2 von ZakMcKracken
Wie ich schon immer sage : "Man muss morgens aufstehen und zufrieden sein. Dann klappts."
31.07.04, 18:09 Uhr #3 von tobi
Lebensfroher sind aber tendenziell eher die Menschen, die sich NICHT mit den Problemen dieser Welt auseinandersetzten. Von daher ist es eine ziemliche Gratwanderung, Zufriedenheit zu empfinden, indem man sich der schlimmen Situation anderer Menschen dieser Erdkugel vor Augen fuehrt (realistischer Pessimist vs. illusionärer Optimist Problematik). Heikles Thema, regt auf alle Fälle zum Nachdenken an.
Dieser Eintrag wurde 3 mal editiert, zuletzt 31.07.04, 18:09 Uhr
Neue Artikel aus Kolumne
Aktuelle Artikel (alle Rubriken)